Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
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Von der Flanke eines Berges aus betrachtet
Der Weg klebt an den Schuhen. Die Büsche sind noch kahl, aber schon voller Vögel. Das Land hat nicht viel Liebliches, so grau und braun, und ich stapfe hinter dir her und sehe deinen Rücken, und wie du einen Tritt nach dem anderen findest; ich muß auf gar nichts achten, muß nur hinter dir gehen, die gleichen Tritte nehmen, und kann die Gedanken ihre eigenen Reisen machen lassen.

Hier, denke ich. So: mit Schlamm unter den Sohlen, verschwitzt und schweigend einem Weg folgend, der nirgends hin führt und nur da ist, mir zu gefallen. So kann ich atmen, das ist mir gemäß.

Komm, sagst du, da oben ist ein Aussichtspunkt, da laß uns rasten.
 
 
18. März 2018, 19:13                               ° gegangen

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Auszeit
Noch sind die Tage lang, und wir haben viel helle Zeit für unseren Weg. Der Sommer hat sich irgendwo verkrochen, aber weit kann er nicht sein: die Wiesen liegen dürr, die ersten Felder sind geerntet. Wir sehen Äpfel, grün und hart, an Bäumen, die wir wieder zu besuchen versprechen, wenn's dann wirklich Herbst ist.

Der Wald ist freundlich und klettert leichtfüßig auf die Hügel. Wir folgen ihm leichten Herzens. Der Pfad ist kaum zu sehen, Bäume und Felsen machen schöne Vordergründe für die Wolken; wir aber haben uns hinter die Kulissen geschlichen.

Einmal bückst du dich und nimmst ein Käferchen von einem Stein, kaum größer als ein Stecknadelkopf. In seinem Panzer fängt sich Licht: wie hochpoliertes Gold, wie ein grünes Flämmchen. Einmal halte ich inne: da, redet da nicht wer? Wir hören es beide, eine tiefe, klare Frauenstimme in lebhaftem Gespräch. Leise nähern wir uns, aber da ist nichts als ein Bachlauf zwischen Erlenwurzeln, und immer noch die schöne Stimme wie aus dem Nebenzimmer: Zauberworte, zweifellos.

Ich gehe neben dir, lasse mich überrumpeln von der Schönheit des Weges und mache lachend mit dir Pläne. Oh, wie sich das Land dehnt, wie weit und abenteuerlich die Welt wird, wenn wir Pläne haben!

Am Bahnhof endet unser Weg nicht gleich; wir haben noch ein weniges zu warten. Du hast dich auf die Bank gelegt, den Kopf in meinem Schoß, und ich streichle dir leise Haar, Stirn, die Wangenknochen; da beugt sich eine sehr alte Dame über uns und strahlt: so läßt es sich leben, und sie sieht so aus, als wolle sie dich auch ein wenig streicheln.

Du liegst ganz ruhig unter meinen Händen und öffnest die Augen nicht.
 
 
29. Juli 2017, 00:01                               ° gegangen

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Sonnentag
Als wir genug gegangen sind, bleiben wir stehen, schauen uns an: ein Nicken, ein Schritt zur Seite, und wir lassen uns ins Gras fallen gleich beim Weg. Da liegen wir nebeneinander ausgestreckt auf dem Rücken wie ein steinernes Fürstenpaar in einer Kathedrale. Durch meine geschlossenen Lider fällt blendendrot das Sonnenlicht, und neben mir weiß ich dich unter derselben Sonne,

gemeinsam mit mir in einen gleißenden Raum gehoben, wie nackt, während weit draußen Leute vorübergehen, Eidechsen flitzen, Gras sich legt, das sich später, wenn wir wieder auf dem Weg sind, aufrichten wird, als hätten wir hier niemals einen Platz gefunden außerhalb der Welt.
 
 
3. Mai 2017, 00:33                               ° gegangen

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entflogen
Dieser Weg, einer unserer ersten, höchsten: heute wollen wir ihn noch einmal ganz gehen, und der Tag ist kurz.

Hinauf also. Die Landschaft zieht den Dunst fester um sich und winkt mit ihren Schleiern. Auf Karten sieht man dieses Märchen nicht; auf Karten sieht man auch nicht die krummen Leiber der Eichen, die sich zwischen das rostige Laub oben und das am Boden stemmen. Nicht verzeichnet sind die Gräserfelder, bleich vom Vergehen, und nicht die Buchenblätter mit ihren Rätselzeichen, die wir nicht lesen können. Wir gehen hinauf und hinauf, und immer wieder sind wir fremd auf diesem Weg, oder haben doch fremde Erinnerungen an ihn.

Dann hören wir die Kraniche. Ich habe auf sie gewartet, auf ihren hellen Ruf; nun ziehen sie sich wie endlose Reißverschlüsse im blassen Himmel über uns. Du stehst und schaust; an Kette nach Kette der großen grauen Vögel hängst du deinen Blick. Vielleicht reist du mit ihnen weiter als mit mir.

Am Ende erreichen wir den Bahnhof noch im Hellen; wie damals riecht es nach Holzrauch aus den Schornsteinen, eine Katze umschleicht uns, und wir müssen uns schon weit vorm Bahnsteig trennen, schnell, ein rascher Kuß, dein Zug geht gleich; ich muß noch warten. Von meiner Seite der Schienen winke ich dir; so durchscheinend siehst du aus, ich bin froh um deine warmen Kleider.

Es ist bitterkalt. Ich habe dir die Schokolade nicht mehr geben können, nicht deinen Teil der Vorräte und kein schönes Wort, nicht eines. Auf der Heimreise sehe ich Schnee, einen ganzen verschneiten Bahnhof, hinterm Glas meiner Zugfensterscheibe in der Dunkelheit.
 
 
13. November 2016, 22:00                               ° gegangen

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fehl
Unsere Verbindung geht schief, und wir beide warten eine Stunde an verschiedenen Bahnhöfen; aber das geht vorbei.

Der Herbst fängt jetzt an mit seiner schönen Färberei. Die Weiden, noch silbrig grün, sind Hintergrund fürs Brandgelb von Pappeln; hier und da in Gärten und Anlagen ein hochroter Baum; Ahorn glüht Löcher ins grüne Laubdach der Wälder. Hin und wieder scheint die Sonne, und der Wald um unseren Weg herum strahlt auf.

Du, vor und neben mir, scheinst nichts von all dem zu sehen. Dein eigenes Licht ist trüb. Wie eine batterieschwache Lampe, wie ein beschlagener Spiegel. Ich rede, was mir in den Sinn kommt; ich schaue immer wieder nach dir, doch mein Blick trifft deinen nicht.

Irgendwann sitzen wir an einem Aussichtspunkt und essen, und ich zeige dir Dinge in der Landschaft, die du dann doch nicht findest.

Später halte ich dich im Arm, aber ich habe ja keine Lieder für dich, meine Geschichten magst du nicht hören, selbst meine Zärtlichkeiten sind nicht richtig.

Ich gehe mit einem Sack Walnüsse, den hast du mir geschenkt; dünnschalig sind sie, beinah mit bloßer Hand zu knacken. Eine davon will ich in die Erde stecken, wo es mir aussichtsreich erscheint.
 
 
19. Oktober 2016, 23:02                               ° gegangen

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Im Herbst fängt alles an
Am Morgen ist der Sommer fort. Die Sonne zeigt sich nicht, den ganzen Tag nicht, und das Land streckt sich aus in feuchten Schleiern aus Wolken. Es duftet nach vergorenen Beeren, nach Pilzen und zerfallendem Holz.

Bei der Rast hören wir Gänse rufen, und als wir an die Felskante treten, schauen wir direkt auf ihre Rücken, eine lose Kette schwarz und weißer Federkleider, die unter uns den Fluß entlang vorüberziehen.

Ich halte deine Hand in meiner, ganz ruhig, da sehe ich auf der Innenseite deines Handgelenks, wo die Haut hell ist, eine zarte Ader; in klarem Pulsen gibt sie deinen Herzschlag preis, kräftig und in etwas anderem Regelmaß als mein eigener.
 
 
18. September 2016, 19:01                               ° gegangen

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Blick aus dem Wald
Ich bestaune die Silhouetten der Stämme vor den sonnigen Wiesen, Nachtschwarz auf Mittagsgold; sie begleiten den Weg, ziehen im Schrittempo an mir vorüber. Nur eine Armlänge entfernt dein Umriß: vor Schwarz, vor Gold, ins Gehen versunken.

(Es liegt ein Schleier über dir und dämpft dein Leuchten. Du versuchst es, das spüre ich, doch Freuen scheint dich anzustrengen, Begeisterung entzieht sich dir. Die Dinge zeigen dir nichts als ihre mühevolle Seite.)

Daß du noch nicht aufblickst, wünsche ich mir, daß ich dich noch ein wenig betrachten kann, still und schön im Wechsellicht; da drehst du dich, streifst den Schleier beiseite und lächelst mir zu, und auf halber Armlänge findet meine Hand die deine.

(Später, das weiß ich da schon, wirst du mir schrecklich fehlen.)
 
 
15. August 2016, 11:53                               ° gegangen

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Wiederwege
Es ist gefährlich, nach etwas zu suchen; zu leicht läßt es sich nicht finden. Diesmal aber haben wir Glück: Da, die Steigung, der Winkel des Hangs, die schmale Buche, die sich an den Nadelbaum schmiegt, hier war es, hier waren wir schon einmal willkommen.

Jemand hat hier gewütet. Bäume liegen umgehauen, Äste und totes Holz kreuz und quer auf dem Grund. Das Blätterdach ist sommerlich verdichtet, vom Weg nichts zu sehen, sobald man ihn verläßt.

Wir suchen ein wenig, dann räumen wir eine Fläche von Ästen und lassen uns nieder. Weißt du noch, wie es April war, kein Blatt an den Buchen. Die Kiefer, und der Hochsitz, und wie wir lachten. Keine Kiefer, die wurde vielleicht abgeschlagen, aber der Hochsitz steht da, hinter einer Wand aus Grün, und wir lachen wieder.

Weißt du noch, wie der Horizont sich um uns schloß. Und wie das Land stieg und stieg. Und wie müde wir waren. Und wie wir uns verliefen. Der ganze Weg ist ein Gespräch mit einander und mit dem Damals, und darüber liegt der Sommer voller blühender Gräser, mit Buchfinken, zilp und zalp und dem Schatten am Bach.

Versprochen: wenn wir alle Wege gegangen sind, gehen wir sie einfach wieder. Und wieder.
 
 
11. Juni 2016, 23:34                               ° gegangen

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Zwitter
So satt ist das Grün nur einmal im Jahr. Wir gehen unter dichtem Blätterdach, nach dem langen Winter wie abgeschnitten vom Himmel; über den Baumkronen schleifen nasse Wolken. Blau sehen wir selten, und dafür müssen wir zu Boden schauen: Akelei und Gundermann, Veilchen und Männertreu; nicht einmal du kennst alles, was da wächst und uns himmel-, dunkel-, saphirblau entgegenblüht.

Zwei Weinbergschnecken, große Tiere mit verwitterten Gehäusen, haben am Wegrand zusammengefunden. Sie stehen, weit aus ihren Häusern gereckt und die Fußscheiben aneinandergeschmiegt, senkrecht im feuchten Gras, die Mantelränder eine gemeinsam gewellte Linie, glänzend naß. Ihre Taster spielen miteinander, die Augenstiele richten sich ins Ferne; sie tanzen einen Zeitlupentanz, den sie nicht unterbrechen, als wir zwei neugierigen Menschen uns über sie beugen.

Eine dritte Schnecke bewegt sich auf das Paar zu, und da, etwas entfernt, eine vierte noch. Wir warten nicht ab, was weiter passiert, sondern überlassen die Tiere ihrem Liebesspiel. Man will ihnen Menschenbegriffe zuschreiben: zärtlich, ekstatisch, hingegeben.

Zwitter, sagst du: sie fühlen genau dasselbe.

Später, da neigt sich der Tag schon wieder, bist du mir im Anstieg voraus. Du läßt mich nicht merken, wenn du schneller bist; du wartest an der Hangkante auf mich, ziehst mich an dich und läßt mich an deiner Haut zur Ruhe kommen, unter deinem Hemd, wo meine Hände blind ihr Ziel finden. Meine Fingerspitzen, deine Brust: eine kleine Fassungslosigkeit lang stockt uns beiden der Atem.

Noch später reißt es uns in entgegengesetzte Richtungen auseinander. Du winkst am Bahnsteig, bis ich dich nicht mehr sehe; ich habe dir all meine Schokolade geschenkt. Es ist kalt draußen. Ich sitze im Zug und friere.
 
 
18. Mai 2016, 16:51                               ° gegangen

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Wiedergehen, weitergehen
Diesmal suchen wir was. Es wird keine Kirschen am Weg geben und wieder keine Pflaumen; es wird nicht heiß sein, und die Sonne wird nicht stechen. Aber damals war da ein Platz mit Aussicht und Fahnen und einem Dach, ein lichter Wald dabei; wir wollen zu der Stelle, an der man, ein Stück weg vom Weg, ganz leicht die Richtung verliert.

Wir gehen mit einem Bein im Damals auf dem Weg, dem wir damals gefolgt sind. Diesmal begleiten uns Veilchen und Schlüsselblumen, Buschwindröschen und winzige Vergißmeinnicht. Wir gehen und erkennen im helleren Licht der Jahreszeit Strecken und Punkte, erinnern uns und einander, doch dann ist der Weg plötzlich am Ziel, und wir haben die Aussicht nicht gefunden, nicht die Fahnen, nicht das Waldstück, ach und je. Wir schauen auf die Karte. Sind wir diesmal dran vorbeigelaufen, oder hatten wir uns damals verirrt? Wurde der Wanderweg verlegt? Es bleibt ein Rätsel.

Da gehen wir noch ein Stück, noch einmal hinauf, an Gärten vorbei und an Bächen entlang; wir wollen nicht nur gesucht haben, sondern auch etwas finden, etwas Neues, wenn das Alte sich entzieht.
 
 
18. April 2016, 00:32                               ° gegangen

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