Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
Was mich bewegt
Ich besitze zwei Kieselsteine, ziemlich gleich farbig, ziemlich gleich groß. Sie sind kugelrund geschliffen: Kinderspielzeug aus einer Zeit, als Glasmurmeln unerschwinglich waren. Einer der beiden Steine hat eine Unebenheit, eine Beschädigung, die fast glattgeschliffen ist. Diese Murmel rollt nicht ganz so berechenbar wie die andere.
Man machte so etwas, hörte ich, indem man runde Kiesel in einem schnellen Bach in eine Unterwasserhöhlung legte, wo sie sich im Strudel aneinander und am umgebenden Stein rieben, bis sie nach langer, langer Zeit -- nach Jahren, vielleicht -- zu Murmeln taugten. Die Kinder, die damit gespielt haben (sagte der, der sie mir überließ), die sind auch schon lange tot.
Ich liebe vieles an diesen beiden Steinen. Sie sind die einfachste Sache der Welt und dienen zum Spiel, einem der kompliziertesten Dinge auf Erden. Hergestellt sind sie ohne Mühe, aber mit viel, viel Zeit. Vielleicht hat ein Mensch diese Steine fürsorglich ins Wasser gelegt, damit ein Nachgeborener mit Murmeln spielen kann?
Für mich sind diese beiden Murmeln ein Zeichen von Weitblick, von Einfallsreichtum und von Liebe. Absichtslose Schönheit. Nach solchen Zeichen sehne ich mich.
18. Januar 2015, 14:45 ° betrachtet
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be prepared
Mühsam lesend, in ein paar Minuten würde ich dich am Gleis erwarten, saß ich im halb leeren Zug, als ein Schatten am Rande meines Blickfelds größer wurde und sich mir gegenüber auf den Sitz fallen ließ.
Statt des reflexhaften Unwillens (so nah!) packte mich eine Freude wie ein Schreck, und da hatte ich das Buch schon sinken lassen und schaute in dein lachendes Gesicht, entgeistert, nehme ich an, und während wir uns längst küßten, meine warmen Lippen deine winterkalten, war mein Hirn noch nicht so weit und probierte Geschichten aus, in denen ich zu weit oder im verkehrten Zug oder was falsch verstanden oder -- ach was, da warst du und lachtest und sagtest: ich habe einen Zug früher genommen; die Verwirrung ordnete sich in mir zum Glück, und hinzu kam das Vergnügen darüber, so ganz und gar und herrlich überrascht worden zu sein.
16. Januar 2015, 10:18 ° gemerkt
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kein Anschluß
Der Tag, den wir, wäre nicht die Vernunft, gut miteinander hätten verbringen können, und an dem wir dann so überhaupt nicht zueinander finden konnten.
11. Januar 2015, 22:02 ° gestolpert
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Sturmwarnung
Aber wann, wenn nicht jetzt? Also besser einen Weg ohne viel Wald, mit Ein- und Umkehrmöglichkeiten, Regenkleidung eingepackt, und los. Man nimmt, was man kriegt. Spatz in der Hand. Und stürmische Zeiten, sowieso.
Der Weg führt uns tief ins Land, und wir gehen ihn einträchtig, im vertrauten Schritt, fast dreißig Kilometer, aber die merken wir nicht, oder doch nicht sehr. Durch die Baumkronen tobt der Wind, und weil er da nichts findet, wirbelt er das Laub vom Boden auf. Wir klettern querfeldein, und es riecht nach Frühling.
Irgendwann steigen wir aus dem Talgefältel auf die Höhe. Der Wind nimmt Anlauf, aber so recht in Fahrt kommt er nicht; wir schauen über sattgrüne Felder und kahles Gehölz, sehen Wolkenbänder wie von Gemälden, Hügel und Wälder und Städte, und dahinter: Blau. So eines kann nur der Horizont tragen; rufendes, lockendes Blau, das ins Herz schneidet und zugleich verspricht, wenn man nur käme, dann würde es sich schon wie ein sanfter Mantel auf die Schultern legen, ein Zaubermantel, einer, der keine Wünsche offen ließe --
Diese Fernen kennen wir schon; da sind wir überall schon gewesen. Uns ist die Nähe viel gefährlicher: Kuß und Lächeln und die Wärme, die meine Hände unter deiner Kleidung finden. Alles, was wir am Ende dieses Weges zurücklassen müssen. Du bist fern, fern, fern. Und wann sehen wir uns wohl wieder?
Am Ende tobt und heult das Blau, da hilft es gar nicht, ins Haus zu gehen.
9. Januar 2015, 23:51 ° gegangen
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