Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
Unterm Himmel
Am Bahnsteig, an dem ich dich treffe, wartet der Herbst. Den nehmen wir mit; unser Fluß bleibt heute in seinem Bett zurück.
Wir gehen in Farbe. Feuchtschwarz sind Boden und Stämme, grün leuchtet das Moos darauf und, darübergeschüttet, Kupfer und Gold: Buchenlaub. Das glüht zwischen den Felsen wie Morgenlicht, wie Lava, wie, wie -- da kippt der Herbst einen Kübel Regen über uns aus. Keine Herbstmetaphern, bitte. Wir trocknen uns in einer Hütte zwischen Spinnweben.
Hinterher ist er milde, der Herbst. Er schenkt uns einen Bach, Sonne, ein freundliches Forsthaus, einundzwanzig Grad, Pilze und Windräder und Ausblicke. Ausblicke über waldige Hügelrücken, die uns die Augen hell machen und die Wünsche fliegen lassen.
So kann ich dir einen Kummer erzählen, einen entfernten; es sind ja die alten Traurigkeiten, aus denen unsere Ängste bestehen. Da hüllst du mich in deine Arme, und es gelingt dir, mich in einem Herbst vor elf Jahren zu trösten.
Danach mag meine Hand deine nicht mehr lassen. Wir reden das ein oder andere, beschenkt mit einander, mit der Sonne auf den satten Wiesen und den fernen Horizonten, und wissen schon: nicht mehr lang, und diese Weite, unser Platz unter dem Himmel wird uns fehlen. So wie wir einander fehlen werden.
Aber dann hat der Herbst noch etwas für uns. Wir erkennen ihn gleich, den Ort überm Tal: eine Bank, Feldrand im Hagebuttenschmuck, Himmel über Himmel, und da ist auch unser Fluß wieder zwischen gelben Rebenhängen. Wir schauen ins Land, während hinter uns die Sonne sinkt. Abendglocken; eine Motorsäge nörgelt, Hundegebell und Kindergeschrei, fern und winzig. Frieden legt sich in deine Stimme, in meine Hände, zwischen und um uns.
Der Weg ins Tal zurück, bevor die Bahn uns trennt: wie im Traum; im Herzen eine Sehnsucht, ganz die alte und doch ganz neu.
27. Oktober 2013, 17:48 ° gegangen
... kommentieren