Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
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Hochsitz
Einen Weg im Herbst habe ich mir gewünscht, und den schenkst du mir: einen kleinen, nebligen, ohne auch nur eine Ahnung vom Sommer. In Buchenwäldern staunen wir, essen Fallobst und wirbeln im Vorangehen Ahornlaub auf. Was mir auf dem Herzen liegt, schüttet der Herbst mit Blättern zu, das verschwindet in nebligen Ausblicken und zwischen Pilzen und den verspäteten Storchenschnäbeln an Stellen, wo die Sonne hinreicht.

Rastplätze zu finden ist noch nicht schwer; die Kälte setzt sich friedlich zu uns und rupft nicht an den Kleidern, wenn wir Brot und Birnen teilen. Alles, was uns drängt, ist die Zeit.

Nach Mittag entdecken wir einen Hochsitz gleich am Weg, an einem schmalen Trockental voller rötlicher Blätter. Aneinandergeschmiegt nehmen wir Platz, mein Bein an deinem, mein Arm um deine Schultern, Kopf an Kopf. Deine Wärme reicht durch deine Kleider und durch meine bis zu mir, und wir sitzen still, das Tal vor uns wie eine Bühne. Eine Amsel stochert im Gebüsch, ich betrachte die Moosstrümpfe der Bäume, und die Stille wird groß. Blätter fallen, als hätten sie gerade jetzt damit begonnen. Das Jahr geht vor unseren Augen vorüber, unser Tag verrinnt.

Was mein Herz beschwert, läßt und läßt sich nicht greifen; das einzig Gewisse: ich liebe dich. Aber von dir, von dir mag ich das nicht hören -- du antwortest auf eine Frage, die ich nicht gestellt habe.

Später folgen wir goldenen Tunneln ins Tal. Du schaust nur flüchtig; das kleine Ding, das mir auf der Seele liegt, das hat sich nun auch in die deine geschlichen.

Unser Tag verrinnt. Das Jahr geht vorbei. Ich hatte einen Weg im Herbst; aber ein Weg reicht mir heute nicht. Ich möchte uns ertrotzen, was sich nicht ertrotzen läßt: Zeit, ein Früher, eine Möglichkeit.
 
 
31. Oktober 2015, 11:10                               ° gegangen

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