Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
Kein Winter
Dieses Jahr ist so frühreif. Meisen und Storchenschnabel und Waldmeister, tatsächlich, und wir bis zu den Knöcheln im Schlamm. Die Schuhe werden schwer und schwerer, an meine Schritte heftet sich der Weg.
Aber jedes Mal, wenn ich aufblicke, bist du da, auf Armes Länge neben mir, wie in meinen Träumen; und da stört mich nicht der Schlamm, nicht das Brausen der Autobahn und nicht das Übungsgelände, von dem Munition uns anzueignen untersagt ist.
Erst als wir uns dem Bahnhof nähern, zögerlich und auf Umwegen, und der Schlamm des Waldwegs längst auf dem Stadtasphalt weggebröselt ist, da merke ich das Gewicht in den Beinen oder auf dem Herzen, das ist sowieso alles eins.
26. Januar 2014, 22:17 ° gegangen
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Jagdsaison
Einen Weg noch im alten Jahr, das konnten wir einander schenken. Von einem Fluß zum nächsten, in einem sanften Auf und Ab von schneelosen Hügeln im Dezemberlicht.
Am Bahnsteig wird alles leicht: endlich. Da bist du ja. Die Karte hat einen größeren Maßstab als sonst, aber wir brauchen gar nicht länger für eine Handbreit Wegs. Leicht sind die Schritte, froh die Worte, jeder Blick trifft Schönes.
Wir gehen rasch. Am Heulen der Autobahn: vorbei, und vorbei an den glänzenden Jeeps. Hunde- und Menschenstimmen, Schüsse im Dickicht, unsichtbare Feldstecher: denen wandern wir davon. Kleine Rasten in der kargen Sonne genügen; der Wind drängelt, und da neigt sich der Weg auch schon wieder ins Tal, wo ein unvertrauter Fluß sich durch Rebenhänge zwängt.
Wir beide wissen: wir sind lange nicht genug gegangen, und wir haben voneinander nur genippt. Den Durst, die Sehnsucht nehmen wir mit heim als gar nicht so leichtes Gepäck für die nächste Strecke.
30. Dezember 2013, 19:02 ° gegangen
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in nuce
Der November warf uns eine Walnuß auf den Weg, vielleicht die allerallerletzte dieses Herbstes; die leuchtete im modrigen Laub unter dem längst kahlen Baum. Ich steckte sie ein.
Wie viel Zeit wir hatten? Gar nicht viel. Aber wir hielten sie fest, wie wir einander festhielten, beide winterlich eingehüllt, jedes warm für sich und an einander gewärmt. Wir ergründeten ihre Fältelung, füllten jede Nische und spürten jede Krümmung in ihrem Inneren aus, während sie sich um uns legte und uns ein wenig Frieden ließ.
Die Walnuß, aus deren Schale, behutsam von dir geöffnet, ich den Kern mit Sorgfalt befreit und mit dir geteilt hatte, und die sich nachher wieder zusammenfügen ließ ohne sichtbare Spuren, liegt scheinbar fest verschlossen auf dem Tisch; aber wir beide wissen, wie sie schmeckt: süß und bitter und nach Herbst, nach herrlichem Herbst.
28. November 2013, 12:52 ° gegangen
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Waldweg durchs Bachtal.
Küß ihn, wispert der Bach. Du nimmst meine Hände unter deine Jacke, unter deinen Pullover und dein Hemd; sie sind kalt, meine Hände, auf deiner warmen Haut, aber du lächelst. Nach Luft schnappst du erst, als ich sie höher wandern lasse. Küß ihn, wispert der Bach, und meine Lippen sind auf deinen, bis meine Hände gar nicht mehr so kalt sind; deine Augen werden zarte Striche und dein Mund ein Ah oder ein Oh. Ein Plätzchen wär hier doch, murmelt der Bach. Aber es ist Herbst und naß und außerdem vom Weg zu sehen ... Spießer, schäumt der Bach. Du hast den Kopf in den Nacken gelegt und ich die Nase an deinen Hals; macht doch, was ihr wollt, Langweiler, gluckst er, und ich küsse dich, und noch einmal.
Dann verschränken sich meine Hände hinter deinem Rücken, das ist schwierig, und beide seufzen wir, sammeln uns und verlassen den Bach und was er so schwatzt. Bald, nicken wir einander zu. Bald.
17. November 2013, 21:05 ° gegangen
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Sonnenbad
Jetzt kommen die fröstelnden Wege: Wolle über Wolle, Butterbrote in klammen Fingern, immer schnell aufstehen und weiter; das wärmt. Wo wir an kürzeren Tagen längere Strecken schaffen und mit einem Bärenhunger nach Hause gehen.
Doch selbst auf solchen Wegen gibt es Sonne, und die schaute freundlich herunter auf eine Bank an hoher Felsenkante, so warm, daß das Holz fast knackte, und da saßen wir, aneinandergerückt, als frören wir. Eine Libelle ließ sich bei uns nieder und breitete ihre Flügel ins Licht.
Ich wärmte deine Hände und betrachtete dein leuchtendes Gesicht. War da etwas, was wir sprechen wollten? Die Sonne ließ ja alles schmelzen, was nicht nah war und warm und herrlich, und wir schauten ihr zu, wie sie am Himmel verharrte und für uns schien. Die Libelle flog immer wieder glitzernde Erkundungsflüge über uns hinweg.
Zwischen Trägheit und Zärtlichkeit und Lachen über unsere alten Knochen nahmen wir diese Stunde oder anderthalb, zogen sie um uns und ließen uns durchglühen, von allem Schweren läutern, bis wir hätten aufsteigen können und davonschweben.
Später zogen lärmend Kraniche über uns hinweg, in grau-lichtem Geschwader, sagtest du leise, und des Südens Wärme blieb uns noch ein Weilchen, für diesmal, bis die Sonne sank.
14. November 2013, 12:41 ° gegangen
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Unterm Himmel
Am Bahnsteig, an dem ich dich treffe, wartet der Herbst. Den nehmen wir mit; unser Fluß bleibt heute in seinem Bett zurück.
Wir gehen in Farbe. Feuchtschwarz sind Boden und Stämme, grün leuchtet das Moos darauf und, darübergeschüttet, Kupfer und Gold: Buchenlaub. Das glüht zwischen den Felsen wie Morgenlicht, wie Lava, wie, wie -- da kippt der Herbst einen Kübel Regen über uns aus. Keine Herbstmetaphern, bitte. Wir trocknen uns in einer Hütte zwischen Spinnweben.
Hinterher ist er milde, der Herbst. Er schenkt uns einen Bach, Sonne, ein freundliches Forsthaus, einundzwanzig Grad, Pilze und Windräder und Ausblicke. Ausblicke über waldige Hügelrücken, die uns die Augen hell machen und die Wünsche fliegen lassen.
So kann ich dir einen Kummer erzählen, einen entfernten; es sind ja die alten Traurigkeiten, aus denen unsere Ängste bestehen. Da hüllst du mich in deine Arme, und es gelingt dir, mich in einem Herbst vor elf Jahren zu trösten.
Danach mag meine Hand deine nicht mehr lassen. Wir reden das ein oder andere, beschenkt mit einander, mit der Sonne auf den satten Wiesen und den fernen Horizonten, und wissen schon: nicht mehr lang, und diese Weite, unser Platz unter dem Himmel wird uns fehlen. So wie wir einander fehlen werden.
Aber dann hat der Herbst noch etwas für uns. Wir erkennen ihn gleich, den Ort überm Tal: eine Bank, Feldrand im Hagebuttenschmuck, Himmel über Himmel, und da ist auch unser Fluß wieder zwischen gelben Rebenhängen. Wir schauen ins Land, während hinter uns die Sonne sinkt. Abendglocken; eine Motorsäge nörgelt, Hundegebell und Kindergeschrei, fern und winzig. Frieden legt sich in deine Stimme, in meine Hände, zwischen und um uns.
Der Weg ins Tal zurück, bevor die Bahn uns trennt: wie im Traum; im Herzen eine Sehnsucht, ganz die alte und doch ganz neu.
27. Oktober 2013, 17:48 ° gegangen
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Fallobst
Im Herbst schmücken sich die Wege mit Nebeln, buntem Laub und schrägem Sonnenschein, und wem das noch nicht reicht, den locken sie mit Nüssen und Trauben. Für uns wäre das nicht nötig gewesen.
Noch in der Dämmerung machen wir uns auf: feuchte Pfade, und das Laub schon deutlich mitgenommen auf dem Weg zum Winter. Was noch blüht, verspätet, scheint unwirklich in seinen lauten Farben. Schön, schön.
Beim Gehen zieht es uns zu einander; auf den Wegen die Hände, an den Aussichtspunkten die Münder, Abstand wie Anstand werden schwierig. Und dann, etwas abseits, mit Blick und Baum und Bänken, eine Aussicht hinter Hecken. Der Baum trägt Nüsse. Nur ein Zuweg, ein schmaler. Und eine Bank, eine bequeme. Wie gerufen.
Mit den Rucksäcken werfen wir alle Bedenken und ein paar Dutzend Lebensjahre von uns und behalten Zärtlichkeit und Lachen und, gegen die Oktoberkühle, genügend Kleidung an. Daß das kein Fehler war, wissen wir spätestens, als wir die Familie im Anmarsch bemerken, erst im allerletzten Augenblick und überhaupt auch nur, weil das Kind noch so klein ist, daß man's hört.
Man grüßt; die Leute nehmen die Bank gleich nebenan, und so sitzen wir denn so brav wir können vor der Aussicht, hoffen, daß man sonst nichts sieht und im übrigen, daß man uns bitte bald wieder allein lassen möge mit Blick, Baum, Bank und mit einander. Wir fühlen uns gestört und werden nicht einmal rot dabei.
Vielleicht verscheuchen wir sie; die Störenfriede ziehen bald weiter. Danach haben wir Glück. (Als wir sie ziemlich viel später auf unserem Weg überholen, sagen wir freundlich Danke.)
Dann gehen wir in die Landschaft hinein, Hügel für Hügel, Kuß für Kuß, und sammeln Nüsse für gleich und Wärme für die Nacht, denn den Rückweg nach dem Dämmer macht ja jedes für sich, während sich die Walnußhälften in unseren Bäuchen nach einander sehnen.
10. Oktober 2013, 13:27 ° gegangen
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Man kommt ja zu nichts.
Noch auf dem Bahnsteig scheinst du erschöpft, durchsichtig; dir sitzt was in den Knochen, kein Kaffee kann das ändern.
Vielleicht tut es der Weg? Also los und hinauf, wo sich die Hügelkronen im Dunst verstecken. Feld und Wald und Wiesen hat der Nebel mit Perlen bestickt, jedes Spinnennetz ein kostbarer Schmuck. Und doch, es fehlt was heute. Ich könnte es nicht nennen, aber ich komme nicht in Tritt auf dem Weg, das Schöne geht mich nicht recht an.
Nach anderthalb Stunden bergauf und bergab schicken wir uns gegenseitig heim. Erst wollen wir beide nicht. Dann sind wir beide doch ganz froh. Dem Weg versprechen wir, wiederzukommen.
Wenig später bringe ich dich zu Bett.
28. September 2013, 20:46 ° gegangen
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Wiederkommen
Nun gehen wir die Strecke, die uns schon kennt, und sie soll uns noch besser kennenlernen. Wieder ist es naß. Über den Zweigen hängen noch unsere Gespräche vom letzten Mal; wir hängen neue dazu oder gehen schweigend. Mit der Rast warten wir ein wenig: ein Dach über dem Kopf wollen wir, keine Aussicht, aber eine Amsel.
Der Ort ist ja auch schon vertraut, im Regen zumal. Wie schnell man heimkommt, manchmal; wie schnell man eine Bank besetzt, ein Essen bereitet, die Kleider gelöst hat. Dann fallen wir doch für einen Moment aus der Zeit; ist diese Amsel nicht etwas spät? Oder singt sie uns noch vom Sommeranfang zu?
Später, in einer Kirche am Wegesrand, heben wir die Gesichter zu hellen Kreuzgratgewölben empor: in so viel Schönheit atmet es sich leicht.
Der Ort aber, zu dem wir hingewandert sind, ohne es zu wissen, pflückt uns kurzerhand vom Weg: Ein Fleck trockener Wiese, von einer vielstämmigen Salweide beschirmt. Weit reicht hier der Blick ins Land und in den Himmel, und du beugst dich über mich mit weichen Lippen, während die Wolken sich immer neu formieren.
Weiß schimmert, zwischen die Blätter geknotet, wie von einem Fest, eine Schleife im Gezweig.
Nicht vergessen: Wenn es Herbst ist, gehen wir diesen Weg noch einmal. Nicht vergessen.
9. August 2013, 00:40 ° gegangen
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Auf der Höhe des Sommers
Ah, das herrliche Land! Golden und staubgrün wölbt es sich der Glut entgegen, die Felder abgeerntet, die Wiesen zu einem Zunder gebrannt.
Mitten darin, gleich beim Weg, steht ein Eichenbaum mit trockener Rinde und trockener Krone. Darunter, dem Grillenlied lauschend, hat sich ein Schatten verkrochen; in dem liegt eine Decke, und darauf liege ich bei dir.
Daß jemand kommen könnte auf dem Weg, ist weit fort; der Horizont zieht sich um unser Lager, und Schatten deckt uns zu. Im Blau kreisen winzig Flugzeuge. Wer darin sitzt, könnte sehen: zwei Menschlein, braun und weiß, wie vom Himmel gefallen auf eine sonnengedörrte Weite aus Gras.
Die Schuhe haben wir abgestellt, die Kleider weit geöffnet, und die Luft flirrt über unsere feuchte Haut. Wind wie von Insektenflügeln. Deine Hand auf meiner Brust, träges Streicheln. Salz lecken. Lächeln unter halbgeschlossenen Lidern. Still fließender Atem, ein Seufzen, das nichts weiter will als: das, genau das hier. Stunde des Pan, in der die Ginsterschoten knacken.
Dann doch ein paar Wanderer, stramm geschnürten Schritts auf dem Weg. Schnell, das Hemd, einen, zwei Knöpfe ... Man grüßt, hebt die Hand, und schon sind sie vorbei, doch der Himmel schaut jetzt anders auf uns herab. Die Flugzeuge fangen an zu drängeln.
Die Schatten wagen sich wieder unterm Waldsaum hervor; sanft legt sich der Weg und lockt uns fort von unserer Wieseninsel. Als ich mich umwende, sehe ich schon nicht mehr die Stelle, wo wir lagen.
3. August 2013, 16:28 ° gegangen
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