Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
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Unterm Schleier
Ich konnte die Augen kaum mehr offenhalten. Die Türen nach draußen standen weit, die Hitze des Tages entwich -- und alles schlief, und überall war Nacht.

Es huschte im Gebälk. Du lagst eine Armeslänge, eine Unendlichkeit entfernt von mir, ein anders dunkler Umriß in der Schwärze. Alles, was mir fehlte. Ob du, fragte ich, ein Gedicht wissest für mich, zum Schlafen?

Im Dunkeln sah ich, wie du dich aufstütztest. Dann sprachst du, nach den Worten tastend, mit leiser Stimme vom Weg durch eine nächtliche Stadt, von unsichtbaren Bäumen und schwarzen Fensterscheiben und einer einsamen Laterne, hoch über den Giebeln in der Ferne, ein wachsamer Gruß für den Wanderer.

Und die Worte waren so schön; ich grub das Gesicht hinein und drückte sie an mich, wie ich das mit deiner Hand getan hätte, andernorts, und dann hatte mich der Schlaf auch schon davongetragen.

Am hellen Morgen weckte uns der Hahn. Das erste, was ich sah: war dein Gesicht.
 
 
28. Juli 2014, 16:21                               ° gemerkt

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Wohlgemut
Wie ein Tunnel öffnet sich der Nadelwald, und Sonnenschein fällt über uns her. Geblendet suchen wir den Weg im Offenen: der ist eine weit schwingende Geste, eine Verdichtung von Blüten auf der blühenden Wiese.

Links und rechts zirpen die Gräser. Flockenblumen, Kartäusernelken, Dost und Rainfarn wimmeln vor geflügelten Insekten, daß es nur so summt; ein großer, guter Ton, der mit dem Sommerhimmel verschmilzt. Wir schreiten aus, nebeneinander, in Duft und Freude. Schmetterlinge stäuben ins Licht, und es könnte so weitergehen: Schritt, Atemzug, Hüpfer, Schritt und Schritt, zwei Spuren durchs Grün, übers Grün, ja, hinein ins Blau und höher --

Der Wiesenweg mündet in eine Schotterpiste. Auf Steinen knirschen wir noch eine Weile an Gräsern und Blumen vorbei, aber sie sind schon wieder für sich. In deinen Augen sehe ich die meinen leuchten. Dann kommt, kühl, dunkel und mit seinen eigenen Düften, der Wald.
 
 
28. Juli 2014, 00:09                               ° gemerkt

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Gelebte Leben
Schau, die Schuhe: ausnahmslos schwarz, mehr oder weniger derb; viele sind sichtlich herumgekommen. Sie waren für ihre Träger gemacht und haben sie oft ein Leben lang getragen.

So eine Jacke, sagst du. Aus Wolle, an den Schultern knapp und geknöpft bis zum Kinn. Unverwüstlich. Manch eine ist mit Sorgfalt geflickt. So ein Kleidungsstück; wie ein Freund.

Gut hundert Jahre alt sind die Fotografien, zwischen denen wir stehen. Gefaltete Hände, gestecktes Haar. Uhrketten, der geschnitzte Rand einer Sofalehne. Menschen, von denen wir höchstens noch einen Namen lesen, vielleicht Verwandtschaften erkennen können auf anderen Bildern, und wissen, daß sie sich haben fotografieren lassen, ganze Familien. Für später. Für die Nachwelt.

Und so schauen ihre Gesichter uns an, da sind hundert Jahre nichts.

Wir wechseln unsere Schuhe alle paar Monate. Zerrissene Jacken werfen wir weg, und von uns beiden wird es kein Bild geben in hundert Jahren. Zumindest keines, das wir gewollt hätten, denn nur unbeobachtet werden wir Paar gewesen sein können. Spurlos.
 
 
16. Juli 2014, 11:39                               ° gemerkt

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Geständnis
Dir erzählen, was du weißt: wie du eines frühen Morgens, wir saßen am Tisch übereck, ich war schon auf dem Sprung, nach mir faßtest, die Hand oder die Schulter, jedenfalls meine Aufmerksamkeit auf dich zogst und mit dem ernsten Ausdruck, den ich kannte und der jedes Lächeln verbot, in fast tonloser Stimme meinen Namen sagtest, und: ich liebe dich.

Ich erschrak nicht, doch ich hielt den Atem. Du sagtest nichts Ungeheuerliches, nichts in unerhörten Worten. Doch fiel, was du sagtest, aus großer Höhe; und es fiel an einen Platz in mir, an dem sonst nichts war. Wie in frischem Schnee, spurlos da hingeraten, lag, was du mir gesagt hattest; immer wieder mußte ich hinsehen.

Ich glaube, ich stand auf und kniete mich zu dir auf die Bank. Meine Antwort kanntest du schon. Viel Zeit war nicht mehr; und als ich ging, hatten wir beide das Gefühl, etwas geschafft zu haben, eine große Erleichterung, wie ein reines Gewissen.
 
 
8. Juni 2014, 00:35                               ° gemerkt

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zweihundert
Als ich dich fragte, was auf unserer Karte fehle, da sagtest du gleich: unser erster Weg! Die allererste Wanderung in Stiefeln, vom Morgen bis zum Abend.

Ich habe in den Wegen gewühlt, den vielen, die wir seitdem gegangen sind. Ich erinnere mich, wie ich vorher Bedenken hatte: ich, mit einem Läufer unterwegs? Und wie es dann ein paar Kilometer dauerte, bis ich begriff: du hältst nicht zurück, sondern wir haben einfach denselben Schritt, ähnliche Ausdauer sogar.

Wie wir, hundert Meter überm Wasser und meilenweit vom Meer, über eine Miesmuschelschale staunten, ein blaues Schmuckstück im Moos. Wie wir beide aus dem Wald traten hoch über dem Bachtal mit der Mühle; und wie uns da beiden der Atem stockte: die Orte fassen nach uns auf gleiche Weise.

Wie ich auf dem Weg nach deinem Ärmel griff; wie du lächelnd verstandest und mich in die Arme nahmst. Wie warm und gut dein Kuß war in der Winterluft. Da war es erst das dritte Mal, daß wir uns sahen.

Abends der Abschied, und wie ich merkte, daß es schwer war und nie leicht sein würde für dich.

Wie danach alles seinen Platz fand. Du, ich, Weg auf Weg, und die Worte dazwischen. Das Schöne, das Schwere, das Gewaltige. Wunsch und Wille, und das Lachen. So viel.
 
 
14. Mai 2014, 18:58                               ° gemerkt

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nicht ganz zur Hälfte
Ein Dreiviertelstündchen ist mir zugeflogen, das genügt für ein Umarmen am Bahnsteig. Es genügt für eine Runde mit Gepäck um den Park, und wo die Uhr sagt: noch zwanzig Minuten, jetzt reicht's, da ist der Scheitelpunkt des Weges.

Da ziehst du mich an dich, dein Mund sucht den meinen zu einem dieser Küsse, in denen Minuten, Gepäck, ja ganze Parks und Bahnhöfe einfach verschwinden, während die Flaneure entfernt an uns vorüberziehen,

und als ich wieder, und die Uhr sagt, und atmen, und muß wirklich und, oh, da ist nichts klar als daß das nicht, ganz und gar nicht reicht.
 
 
26. März 2014, 09:13                               ° gemerkt

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Überschwang, Inbrunst, Feierlichkeit
Da hatten wir noch Zeit für einen Kaffee.

Es war ja heller Tag und viel wärmer und ein Abschied in Liebe, keine Ankunft in Ungewißheit, aber der Weg war derselbe, und auf den Stufen vorm Lokal begann mein Herz zu klopfen, wie es das damals gar nicht getan hatte.

Wir nahmen einen anderen Tisch, und da saß ich dir gegenüber und sah uns da drüben sitzen, in einem anderen Licht, einander gegenüber, und konnte den Blick nicht wenden.

Wie damals faßte ich nach deinen Händen, die du mir hinstrecktest, und wie damals schlossest du unter der Berührung die Augen. Wie damals hallte deine Haut durch meinen ganzen Leib, hätte ich die Wände hoch können unter deinen Fingern.

So saß ich da, zweimal, mit dir im Tageslicht und mit dir an jenem fernen Winterabend, betrachtete dich und dich und mich, wie wir einander betrachteten, und dann kam endlich der Kaffee.

Die Tasse war heiß. Über ihren Rand sah ich dich Zucker auf den Milchschaum streuen, sah dich umrühren, den Löffel zum Mund führen. Deine Lippen öffneten sich erst und kräuselten sich dann, vom Milchschaum und vom Lächeln, bis ich nichts anderes mehr sah als den Schwung deiner Oberlippe, das hübsche, bewegliche M, mir in diesem Lächeln zugewandt.

Amorbogen nennt man, was ich da küssen und küssen wollte.
 
 
6. März 2014, 10:28                               ° gemerkt

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eingehakt
Die Allee mit den Kastanien wölbt sich selbst winterkahl noch herrlich; Leute flanieren auf den geharkten Wegen links und rechts des Rasenstreifens, und wir flanieren mit.

Es ist sonnig, es ist Zeit, es ist sonntäglich: wir gehen leicht und still, ich habe meinen Arm in deinem, unsere Schatten weit vor uns auf dem Weg sind einander verbunden.

Wir sehen aus wie jedes Paar. Heimlich bestaunen wir, wie sich das von selbst versteht.
 
 
6. Januar 2014, 19:53                               ° gemerkt

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Museum
Der Raum, in den wir lächelnd gehen, ist voller Augen. Kinder, Frauen, Männer, Augen aller Zeit- und Lebensalter schauen uns entgegen, manche auch an uns vorbei in die Ferne, manche in ihr Inneres.

Wir wollen sie sehen. Wir treten unter sie, gehen auf Augenhöhe, bohren unsere Blicke tief in ihre --

Die Bilder nicht berühren!, bellt ein Aufpasser mit quergekämmtem Haar. Wir wollen die Gemälde ja nicht anfassen, aber genau sehen würden wir sie schon gern. Nützt nichts -- wir haben jetzt einen seitlichen Mitgucker, der aus allernächster Nähe überwacht, daß wir den Abstand wahren.

Wir schauen uns an, zucken die Schultern und tun so, als sei er Luft.

In einem goldenen Rahmen stehen plötzlich zwei Gestalten, männlich und weiblich, nicht jung, schmal vor lauter Licht, einander zugeneigt; er hat die Augenbrauen gehoben, ihre Hand berührt seinen Arm, als wolle sie ihm etwas sagen; da kommt von rechts der Aufpasser ins Bild, ins Spiegelbild, in dem sich unsere kurz erstaunten Blicke treffen. Wir treten ein Stück zur Seite.

So sehen wir also aus.

Als wir den Raum mit den vielen Augen verlassen, folgt uns der Blick des Aufpassers. Wir nicken ihm freundlich zu und gehen hinaus in unseren Tag.
 
 
6. Januar 2014, 17:49                               ° gemerkt

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Nach dem Jüngsten Gericht
Im Zug zurück, ich war noch ganz angefüllt mit Wärme, geteilten Gedanken und Bildern, Blattgold und Ultramarin, herrschte unerwartete Enge. Leute in Wintermänteln standen in den Gängen, bepackt mit ihren Einkäufen. Wir drückten uns dazwischen.

Zweiundzwanzig Minuten Fahrt. Ich hätte nicht so dicht bei dir stehen müssen; die Landschaft wäre auch an uns vorübergezogen, hätte ich Abstand gewahrt. Aber wie da die Fabrikgebäude, wie die Vorortsiedlungen eilig zurückblieben, griff plötzlich der Abschied nach mir.

Und während zwei junge Dinger, behängt mit glänzenden Tüten, schweigend an uns vorbeisahen, suchte ich Zuflucht in deiner Jacke. Lauschte dem Pulsschlag an deinem Hals, verflocht unsere Finger, hinterließ einen nassen Fleck an deinem Kragen, dann hielt der Zug. Du winktest vom Bahnsteig. Ich fand allein einen Platz. Und hatte dir doch längst noch nicht alles gesagt --

Später dann, im Traum: eine Hand, die auf Goldenes zeigte, die herabschwebende Taube, Blicke unter halbgeschlossenen Lidern, Zittern, Zagen, rinnendes Blut. Und du lächeltest dazu: Schau, das geht vorbei.
 
 
16. Dezember 2013, 23:42                               ° gemerkt

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