Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
blogger   heim   ich   das   suchen   subskribieren        
betrachtet   danach   davor   eingenordet   entfernt   erwünscht   gegangen   gemerkt   gerastet   gestolpert   vergangen  


 
 
 
Xaver
Gewühl am Bahnhof. Die Anzeigentafel ist weiß vor Verspätungsmeldungen. Dein Zug soll in 45, 55, 60 Minuten eintreffen. Ich betrachte die hastenden Menschen, während die Zeit verrinnt.

Da sehe ich dich auf der anderen Seite des Menschenstroms winken. Ehe mir einfällt, daß du noch gar nicht da sein kannst, ist es plötzlich hell. Die Menge teilt sich, in der Mitte des Gedränges treffen wir uns: du bist es wirklich; du hast einen anderen Zug genommen.

Keine Zeit für einen Kaffee, nicht einmal nach Sitzplatz suchen lohnt sich noch. Wir bleiben in einer Nische stehen, und weil ich dich lieber küssen würde, kann ich mich nicht sattsehen an dir. Dein Lächeln umfängt mich, wir wechseln leichte Worte, und dabei erzählen wir uns in Blicken ganz anderes. Alles Gehetz, die Zeit selbst geht uns nicht an.

Zum Abschied umarmen wir uns dann doch, und dieser Abschied hat keine Macht über uns. Wir gehen leuchtend.

Der mißgünstige Wind hat unserer Stunde nur ein paar Minuten gelassen, aber jede dieser Minuten erhellt meinen Tag für Stunden.
 
 
6. Dezember 2013, 17:35                               ° gemerkt

... anzeigen   ... kommentieren (0 Kommentare)


 
 
 
Frostschutz
Eigentlich ist es zu kalt für die Bank, aber wir rücken zueinander und decken uns zu, und so geht es für die Weile, die es braucht, um ein ernstes Wort zu wechseln.

Du erzählst mir meine Geschichte neu, und ich höre sie wie die einer Fremden, spähe hinein wie in eine Gletscherspalte, in die ich fallen könnte, aber du bist neben mir, ein warmer, atmender Körper, nur ein Lächeln entfernt.

Schwindlig macht mich, daß nichts mit uns schiefgegangen ist, daß du dich gezeigt und ich dich erkannt und wir uns einander geöffnet haben. Daß keiner getäuscht hat und keiner sich geirrt. Ohne Berechnen hat jeder Schritt gestimmt.

Für den Rest des Weges lasse ich deine Hand nicht mehr los, halte deine Wärme und all das fest, für das ich immer noch keine Worte weiß.
 
 
18. November 2013, 14:05                               ° gemerkt

... anzeigen   ... kommentieren (0 Kommentare)


 
 
 
vom Walde hernieder
Es wird wohl Frost geben. Im Dämmer der zunehmende Mond leuchtet auf, schärfer vorm Blau, das ganz allmählich ins Schwarze gleitet. Abendglocken und das Herunterratschen von Rolläden. Schimpfend schlägt sich eine Amsel in die Gartenhecke. Es riecht nach Holzrauch und schlichter Küche.

Heimkehr. Abendfrieden. Verheißung eines Tischs im Warmen, während draußen die Nacht sich vertieft --

Da vorne geht's zum Bahnhof; da endet unser Tag in der zuckenden Neonbeleuchtung. Gleise gibt es in zwei Richtungen: eine für mich, eine für dich.
 
 
14. November 2013, 13:03                               ° gemerkt

... anzeigen   ... kommentieren (0 Kommentare)


 
 
 
am Wiesenrand
Das Gras leuchtet, wie es nur leuchten kann, wenn es zu grün ist für die Jahreszeit. Du sitzt auf der Baumstammbank und hast den Kopf auf den hölzernen Tisch gelegt, in die Armbeuge, und blinzelst in die Sonne. So einschlafen, murmelst du, und ich beuge mich über dich, schmiege dir den Arm um die Schulter, das Gesicht an deinen Hals, und atme dich ein, deinen Duft.

Und wie die Sonne uns so beide umarmt, als hätten wir nur einen Rücken, da glaube ich zu wissen, wie Glück sich anfühlt, ein großes Leuchten um den kleinen Schmerz, daß es jetzt gerade vorübergeht.

Die Sonne erlischt in Wolken. Wir lösen uns aus dem Moment. Ich hole den Proviant aus dem Rucksack. Da schenkst du mir ein Buch, das du für mich getragen hast bis hier oben.

Kein Frühling, und es ist wahr: für uns ist es der Herbst, in dem alles beginnt.
 
 
28. Oktober 2013, 12:56                               ° gemerkt

... anzeigen   ... kommentieren (0 Kommentare)


 
 
 
Hafen
Nachmittag am Fluß, die Stunde auf den Steinen, wo Dieselschwaden sich vom Wasser lösen und Libellen in Paaren über den glucksenden Ufern pendeln:

Du küßt meinen halben Mund, während die Sonne uns beide rücklings umarmt; das grüne Wasser glitzert, und dein Nacken mit den silbrigen Härchen, oh, so dicht vor meinen Augen. Dein Duft. Die kleinen Küsse, die deine Lippen meiner Handfläche schenken, und die kleinen Feuer, die das in mir anzündet.

Ich kann diese Stunde nicht halten und nicht dehnen, aber ich kann sie mit allem spüren, atmen, aufnehmen und speichern. Und deiner Haut mit meinen Fingern zuflüstern, wie das ist mit uns.

Später, als ich dich zum Zug bringe, fragt mich auf dem Bahnsteig ein Mann mit Krücken: ob ich ihm helfen könne. Nein, sage ich, ich fahre nicht mit. Aber Ihr Mann, sagt er, kann der mir vielleicht behilflich sein? (Noch später hast du ihm zum Aussteigen die Tür aufgehalten.)

Ich korrigiere ihn nicht; ich fahre ja nicht mit. Ich bleibe hier, auf den Steinen am Wasser, bei Libellen und Motorbooten, die Arme um dich geschlungen, im Sonnenschein, mit dir von der Sonne durchglüht.
 
 
4. Oktober 2013, 19:24                               ° gemerkt

... anzeigen   ... kommentieren (0 Kommentare)


 
 
 
Zu Besuch
Am Bahnhof in der Frühe stand dir der Ernst im Gesicht, wie beim allerersten Mal. Ich behielt die Hände in den Taschen, um dich nicht versehentlich zu berühren; dann ging ich neben dir durch meine Stadt, in der ich nicht mit dir gehen darf.

Wir spazierten stromaufwärts, wo ich sonst alleine bin. Der Fluß: eine kabbelige See voller Treibholz; zu den bunten Frachtschiffen mußten wir aufblicken.

Ich ging, stand, saß, aß, redete, lachte neben dir, deine vertraute Gestalt auf Armes Länge und im Blick, und sehnte mich nach dem mit, das dem dir so fehlte wie mir dein Du.

Wir gingen ja in Gesellschaft, eine ganze Prozession: Meine Angst und deine Angst waren dabei, meine Sehnsucht. Dein Mut, der für uns beide reichte. Unsere Hoffnung. Umflattert von Geschichten und von Lachen, das sich immer wieder löste. Der Übermut.

Flußabwärts, später, war das Wasser noch gestiegen. Schwäne saßen zischend auf dem Promenadenweg.

Als wir abends auf deinen Zug warteten, zitterte der Raum zwischen uns vor Erleichterung und Verlangen. Auf dem Heimweg, meinem kurzen, deinem langen, spannte sich der Faden, der uns verknüpft, im ganz genau gleichen Maß.

Das hier, das haben wir geschafft.
 
 
3. Juni 2013, 23:14                               ° gemerkt

... anzeigen   ... kommentieren (6 Kommentare)


 
 
 
Ein Bett
Was uns gestern gelang: der Zeit ein Schnippchen schlagen. Ausbüxen, zueinander entkommen, das Staunen, die helle Freude. Auf der Uferbank für einen Augenblick so tun, als habe der Augenblick kein Ende.

Das Gespräch, in dem wir auf einmal nicht mehr zu zweien da saßen, sondern zu viert; und was haben wir's gut: wir werden ja zweifach geliebt.

Da, wo wir uns bei den Händen hielten, füllen zwei Flüsse das Bett eines Stroms. Sie mischen sich nicht, strömen Seite an Seite ein Stück dem Meer entgegen, einer braun und einer grün, jeder mit seinem eigenen Treibgut.
 
 
21. Mai 2013, 10:50                               ° gemerkt

... anzeigen   ... kommentieren (0 Kommentare)