Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
Zurück vom Bahnhof
Zuhause tausche ich heimlich unsere Gläser, die noch auf dem Tisch stehen, aus und suche zum Trinken die Stelle, an der deine Lippen waren.
12. Juni 2016, 22:13 ° danach
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Wiederwege
Es ist gefährlich, nach etwas zu suchen; zu leicht läßt es sich nicht finden. Diesmal aber haben wir Glück: Da, die Steigung, der Winkel des Hangs, die schmale Buche, die sich an den Nadelbaum schmiegt, hier war es, hier waren wir schon einmal willkommen.
Jemand hat hier gewütet. Bäume liegen umgehauen, Äste und totes Holz kreuz und quer auf dem Grund. Das Blätterdach ist sommerlich verdichtet, vom Weg nichts zu sehen, sobald man ihn verläßt.
Wir suchen ein wenig, dann räumen wir eine Fläche von Ästen und lassen uns nieder. Weißt du noch, wie es April war, kein Blatt an den Buchen. Die Kiefer, und der Hochsitz, und wie wir lachten. Keine Kiefer, die wurde vielleicht abgeschlagen, aber der Hochsitz steht da, hinter einer Wand aus Grün, und wir lachen wieder.
Weißt du noch, wie der Horizont sich um uns schloß. Und wie das Land stieg und stieg. Und wie müde wir waren. Und wie wir uns verliefen. Der ganze Weg ist ein Gespräch mit einander und mit dem Damals, und darüber liegt der Sommer voller blühender Gräser, mit Buchfinken, zilp und zalp und dem Schatten am Bach.
Versprochen: wenn wir alle Wege gegangen sind, gehen wir sie einfach wieder. Und wieder.
11. Juni 2016, 23:34 ° gegangen
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ganz Ohr
Weißt du nicht ein Gedicht für mich? Du könntest es mir leise ins Dunkel sprechen, vorsichtig, daß die Worte auch alle richtig sind; und ich würde den Atem halten und lauschen, als hörte ich so etwas zum allerersten Mal.
20. Mai 2016, 20:16 ° entfernt
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Zwitter
So satt ist das Grün nur einmal im Jahr. Wir gehen unter dichtem Blätterdach, nach dem langen Winter wie abgeschnitten vom Himmel; über den Baumkronen schleifen nasse Wolken. Blau sehen wir selten, und dafür müssen wir zu Boden schauen: Akelei und Gundermann, Veilchen und Männertreu; nicht einmal du kennst alles, was da wächst und uns himmel-, dunkel-, saphirblau entgegenblüht.
Zwei Weinbergschnecken, große Tiere mit verwitterten Gehäusen, haben am Wegrand zusammengefunden. Sie stehen, weit aus ihren Häusern gereckt und die Fußscheiben aneinandergeschmiegt, senkrecht im feuchten Gras, die Mantelränder eine gemeinsam gewellte Linie, glänzend naß. Ihre Taster spielen miteinander, die Augenstiele richten sich ins Ferne; sie tanzen einen Zeitlupentanz, den sie nicht unterbrechen, als wir zwei neugierigen Menschen uns über sie beugen.
Eine dritte Schnecke bewegt sich auf das Paar zu, und da, etwas entfernt, eine vierte noch. Wir warten nicht ab, was weiter passiert, sondern überlassen die Tiere ihrem Liebesspiel. Man will ihnen Menschenbegriffe zuschreiben: zärtlich, ekstatisch, hingegeben.
Zwitter, sagst du: sie fühlen genau dasselbe.
Später, da neigt sich der Tag schon wieder, bist du mir im Anstieg voraus. Du läßt mich nicht merken, wenn du schneller bist; du wartest an der Hangkante auf mich, ziehst mich an dich und läßt mich an deiner Haut zur Ruhe kommen, unter deinem Hemd, wo meine Hände blind ihr Ziel finden. Meine Fingerspitzen, deine Brust: eine kleine Fassungslosigkeit lang stockt uns beiden der Atem.
Noch später reißt es uns in entgegengesetzte Richtungen auseinander. Du winkst am Bahnsteig, bis ich dich nicht mehr sehe; ich habe dir all meine Schokolade geschenkt. Es ist kalt draußen. Ich sitze im Zug und friere.
18. Mai 2016, 16:51 ° gegangen
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