Wunderkarte: Pfad- und Wegelager
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Eine Geschichte
Ich machte an einem entlegenen Punkt im Wald Rast, an einem dieser unerklärbaren Orte, die man sofort spürt oder niemals, da trat ein Mann zwischen den Bäumen hervor. Er ging einen Pfad, den er wohl kannte; noch im Gehen nahm er den Rucksack vom Rücken und schaute dann, die Hand über den Augen, vom Felsrand ins Rund.

Als er mich wahrnahm, erschrak er nicht, er sah weder enttäuscht noch ungehalten aus, doch was da in seinem Blick gelegen haben mochte, das hatte sich verschleiert, war völlig zurückgefallen hinter eine graugrüne Ruhe; diesem Blick hätte ich auch in der U-Bahn begegnen können.

Ein knappes Nicken in meine Richtung; dann machte er kehrt und nahm den Pfad in den Wald zurück.

Meine Ruhe hatte er mitgenommen. Ich hätte ihm so gern die seine gelassen.
 
 
5. September 2013, 00:41                               ° aufgezeichnet

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Ins Netz
Ich erinnere mich nicht, auf welchem Weg ich zu ihm fand. Aber los kam ich nicht mehr. Tagelang las ich, amüsiert, angerührt, voller Staunen.

Er schrieb gut. Er konnte etwas, einfach so, worin ich dilettierte. Mehr noch, aber das merkte ich nicht gleich: seine Stimme drang durch zu mir, schien mir bekannt, vertraut sogar da noch, wo sie mir Fremdes mitteilte. Hundertmal wollte ich kommentieren und ließ es dann; was hätte ich ihm zu sagen gehabt?

Schnelle Gedanken, dünne Haut. Marotten und Widerborsten und ein Reichtum an Worten. Der arbeitete sich ab an Erinnerungen. Mir scheint, notierte ich, da brennt eine Seele. Und wie das leuchtet. Und, ist das zu fassen, er trägt Schnecken über die Straße, damit sie mit heilem Haus ihr Ziel erreichen.

Eine Adresse hatte ich schon gefunden; nun beschäftigte mich: Wie verlockt man einen Dichter zum Gespräch?
 
 
4. September 2013, 00:40                               ° aufgezeichnet

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Aufforderung zum Tanz
(Sonniger Tag, Waldweg. Zwei Personen [1 und 2], Blick konzentriert auf den Boden gerichtet.)

1 Au-AH!
2 Au! Oh! Entschuldigen Sie! Ich hatte Sie nicht gesehen ...
1 Das merke ich!
2 Zeigen Sie mal ... Glück gehabt, nichts passiert.
1 Und bei Ihnen? Na, das könnte eine Beule werden.
2 Geht schon. Wissen Sie, ich wollte nur eben die Schnecke da ...
1 So? Nun, das wollte ich auch gerade.
2 Dann bitte, nur zu, es ist Ihre.
1 Neinnein, machen Sie. Entschädigung für die Beule.
2 Ja? Macht es Ihnen wirklich nichts aus? Ja, dann ... (hebt eine Schnecke auf und trägt sie ans andere Ufer des Weges) So ist es besser. Na, los, fort mit dir ... (zeigt hinter sich) Wollen Sie in diese Richtung?
1 Ja --?
2 Nun, da brauchen Sie sich nicht weiter zu kümmern, da komme ich her. Alles soweit erledigt.
1 Ach? Gut, gut. (zeigt hinter sich) Wenn Sie dort lang gehen, müssen Sie sich auch nicht weiter bemühen. Da läuft alles.
2 Ah. Bestens. Ja dann, einen schönen Tag noch!
1 Guten Weg!

(ab)


Ihnen wollte ich nicht im Wald begegnen.

(Natürlich mit den allerbesten Grüßen.)
 
 
4. September 2013, 00:38                               ° aufgezeichnet

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Anschwellender Schriftverkehr
So kannte ich mich nicht: Ich hakte nach, ließ Sie nicht in Ruhe. Fragte und schrieb, bis aus dem gelegentlichen Wortwechsel etwas wurde, ein schriftliches Gespräch.

Und war zutiefst erstaunt: Sie schrieben ja aus meinem Notizbuch ab! Und das, wo meine Handschrift unlesbar sei, beschwerte ich mich. Das war erst der Anfang.

Ich gab sonst keinem Schmerz den Raum, in mir widerzuhallen. Aber Ihre Worte hatten eine Art, ihr Ziel zu finden, daß ich mich nicht lang wehrte. Und was ich zwischen Ihren Zeilen fand, erschütterte mich ... Ohne Überlegen schrieb ich Ihnen das.

Ich blättere in Ihrem Notizbuch, Sie aber blättern in meinem Herzen, antworteten Sie. Wer sind Sie?

Das war eine schwere Frage. Ich lese, was Sie schreiben. Wenn ich mich traue hinzuschauen.
 
 
2. September 2013, 00:55                               ° aufgezeichnet

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Argwohn
Irgendwann beschlich mich der Verdacht eigennütziger Motive: Ich schreibe Ihnen womöglich nur, um mich in Ihre Erinnerung zu stehlen?

Die Antwort, lapidar: Machen Sie sich keine Gedanken. Sie sind schon darin.
 
 
24. August 2013, 10:33                               ° aufgezeichnet

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zugemutet
Ich beobachtete Veränderungen: ich las weniger; ich schrieb mehr. Ich erlebte in vielfacher Stärke. Ich trug eine dünnere Haut; manches ging zu meiner Überraschung einfach durch.

Und dann machte ich etwas. Ich habe gearbeitet, schrieb ich Ihnen, und meine schlimmste und meine schönste Erinnerung notiert. Das hat weh getan oder gut, ich weiß nicht was.

Es bekümmert mich, daß Ihnen was wehtut, schrieben Sie. Und dann: nahmen Sie sie mir ab, die schlimmste und die schönste Erinnerung, die ich Ihnen eigentlich nicht hatte zumuten wollen.

Es ist eine Zumutung. Eine schöne, schreckliche. Und: Ich bin froh. Sie waren bedeutend härter im Nehmen, als ich gefürchtet hatte.

Sie sind, schrieb ich, ein wunderbarer Leser, und ich meinte: ein Wunder.

Ich fühlte mich leicht wie nie.
 
 
21. August 2013, 19:34                               ° aufgezeichnet

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non sapere aude
Wer von uns wem protokollarisch korrekt das Du hätte anbieten dürfen? Ob Sie zwanzig Jahre jünger als ich sind oder zwanzig Jahre älter -- ich wußte es nicht. Ich wußte nicht, wie Sie aussehen, und nicht viel über Ihr wahres Leben.

Das gefiel mir: Ich habe Sie gern so als Unbekannten. Lassen wir es unbestimmt, ja?

Dann wurde dieser eine Kanal zu wenig. Ich habe Ihnen einen Brief geschickt, schrieb ich nach langem, langem Zögern, und diesmal meinen Absender nicht vergessen. Jetzt habe ich einen Namen und ein Gesicht, einen Beruf und ein Umfeld. Ich weiß nicht recht.

Ihre Antwort kam prompt: Ich werde keine Suchmaschine nach Ihnen fragen. Was Sie mir über sich verraten wollen, das müssen Sie selber tun. Und: Ich wüßte nicht, was ich von Ihnen wissen müßte, um nichts mehr von Ihnen wissen zu wollen.

Ich dachte (und schrieb Ihnen nicht): Das ist altmodisch, und es ist weltfremd -- aber Ihnen, Ihnen nehme ich das ab.
 
 
15. August 2013, 01:32                               ° aufgezeichnet

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Gespiegelt
Schon bevor Sie mir schrieben: Kommen Sie her. Bitte, sogar noch ehe ich mir eingestand, daß es anders gar nicht gehen würde, malte ich mir unsere Begegnung aus.

An einem Bahnhof dachte ich sie mir, einem kleinen, mit Blick auf den Fluß. Ich würde aus dem Zug steigen und warten, bis alle Reisenden den Bahnsteig verlassen hätten; der, der stehen bliebe, der wären dann Sie. Ich würde auf Sie zugehen, mich vor Sie hinstellen und Ihnen in die Augen schauen: Das sind Sie also ...

Einmal fing ich in einer spiegelnden Oberfläche meinen Blick auf und wurde blaß. Da stand es, ganz offen, zu lesen wie in einem Buch.

Oh, so darf ich Sie aber nicht anschauen, dachte ich. Kurz, und dann gleich: Gehen wir ein Stück?
 
 
31. Juli 2013, 21:50                               ° aufgezeichnet

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Stimmen
Telefonieren, das käme nicht in Frage. Böse Erinnerungen, und: immer der falsche Eindruck, und nie alles gesagt, und nie in die Augen -- nein, ich telefoniere nicht. Schreiben, das gerne. Aber nicht, hören Sie, gewiß nicht telefonieren.

Und dann kam ein Tag, an dem ich verstimmt war -- wir hätten uns viel, viel früher begegnen müssen! --, aber Sie waren schlimmer dran als ich; Himmel, die Besorgnis, und was sollte ich schriftlich schon ausrichten. Da schrieb ich: ich rufe Sie nun an. Und rief an.

Danach war alles anders. Ich hatte nichts gesagt oder wußte es nicht mehr, aber Ihre Stimme war ganz neu, an nichts, gar nichts hatte sie mich erinnert; ihre unvertraute Melodie war ohne Aufhalten in mich hineingefallen und hallte, hallte.

Eine halbe Stunde später schrieb ich Ihnen. Bei den Hörnern, schrieb ich Ihnen, bei den Hörnern und ganz genau genommen:

da hätten wir uns, wiewohl keine Anfänger mit dem Medium, offenbar ineinander verliebt, das heißt, in nichts als eine nie gehörte Stimme. Bis dahin hatte ich es nicht gewußt, denn ich zumindest hatte so etwas nicht für möglich gehalten; aber Ihre Stimme, die hatte es mir gesagt.
 
 
6. Juli 2013, 20:28                               ° aufgezeichnet

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Abseits der Wege
Die ersten Schritte auf der Flußpromenade, im gelben Laternenschein, folgten noch etwas zaghaft dem Schwung deiner Ohrmuschel, der Wölbung deiner Wange. Später führte ein kühnerer Anstieg über den Rücken deiner Hand, bis dein Puls sich beschleunigte. Danach war es schwierig, nebeneinander zu gehen.

Der Pfad fand sich, er läßt sich immer finden: Abstieg an der Kehle vorbei durch die Täler des Schlüsselbeins; über die Schulterblatt-Ebenen, den Hohlweg die Wirbelsäule entlang. Den Linien, den Falten, den Zeichnungen der Adern folgen. Wo wir mit Händen nicht vorankommen, überlassen wir uns Lippen und Zunge. Ketten von Küssen über die Flanken, über Hindernisse hinweg und über Senken, schauernde Haut und knisterndes Haar; immer wieder verharren und das Echo erproben, über Um- und Abwege streunen. Das Terrain ist nie ganz vertraut, aber entgegenkommend.

Und wer weiß, wo das hinführt? Wir gehen ja ohne Karte außer der, die wir uns auf dem Weg entwerfen.
 
 
28. Mai 2013, 12:23                               ° aufgezeichnet

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